Nach nunmehr einer Pandemie und ein paar weiteren Jahren traue ich mich zu sagen: Eva Sangiorgi hat die Viennale lateinamerikanisiert.
Zunächst hatte ich Zweifel, ob es an meiner persönlichen Filmauswahl lag (mit der ich wirklich nicht immer die richtige Wahl getroffen habe). Aber inzwischen bin ich mir sicher: Die Viennale ist lateinamerikanischer geworden.
Es ist ja auch kein Wunder. Sangiorgi hat ein knappes Jahrzehnt das Festival FICUNAM in Mexiko geleitet. Als Italienerin kann man ihr getrost eine Affinität zu romanischen Sprachen unterstellen. Und es ist sicher keine Überraschung, dass sie ihr in den mexikanischen Jahren gefülltes Telefonbuch weiterhin nutzt, nun eben, um die Viennale zu bespielen.
Was das größte (wenn auch vielleicht nicht wichtigste) Filmfestival Österreichs ausmacht, ist nicht einfach zu definieren. Ich habe es immer wieder mit “Mäandern” versucht; schon zu Zeiten des verstorbenen Festivalleiters Hans Hurch mäanderten viele Filme herum. In Intellektuellenkreisen ist dies ein Qualitätsmerkmal. Für Menschen mit begrenzter Aufmerksamkeitsspanne aber wird der mäandernde Film, der gerne aus Südostasien oder eben Lateinamerika kommt, oft zur Herausforderung. Wach bleiben fällt schwer, aber man möchte schon gerne verstehen, was die schlauen Kritiker an diesem und jenem filmischen Juwel finden, was es zu etwas Besonderem macht, was ihm einen Platz auf diesem zweifellos wunderbaren Festival sichert.
Man könnte es auch so beschreiben: Die Viennale war und ist ein ruhiges Festival. Die Filme sind unaufgeregt, aber intensiv, genau wie die eingeladenen Filmschaffenden und das Publikum. Das macht die Viennale angenehm, denn es geht für ein Hauptstadtfestival mit großen Stars erstaunlich unprätentiös zu. Die Viennale schafft den Spagat zwischen Nahbarkeit, Zugänglichkeit und Größe. Das internationale Renommee allerdings sichert sie sich damit nicht.
Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Als Journalist bemühe ich mich seit Jahren um einen Platz für die Viennale in den etablierten Medien in Deutschland. Dass das nur selten funktioniert, hat mehrere Gründe:
Die Viennale ist kein großes Premierenfestival. Viele Filme haben hier ihre Premiere, aber es ist eben nur die Österreich-Premiere. Die Kritiker haben den Film schon in Cannes, Venedig oder Berlin gesehen. Und wenn dann doch mal ein übersehenes Juwel dabei ist, dann ist es aus der Kategorie, die eh (wahrscheinlich) keinen Kinostart in Deutschland hat – oder wenn doch, dann ist es ein Nischenprodukt, das in den mit breitenwirksamen Angeboten überfrachteten Redaktionen keine Chance hat.
Somit bleibt die Viennale ein wenig ungreifbar. Wie eine flüchtige Bekanntschaft, wie ein Vorhangschleier im Wind vor einem offenen Fenster. Und immer wieder versuche ich ihn zu erhaschen, dieses zarte, wundervolle Gebilde in seiner amorphen Schönheit. Die Viennale bleibt mein Festival. Nicht das einzige, das ich im Jahresreigen besuche, aber das, zu dem ich die längste, eine ganz besondere Beziehung habe.