Es hat nicht sollen sein. Die Karten für das Konzert von Ennio Morricone in Wien waren gekauft, rund dreihundert Euro für drei Personen. Aber der Maestro sagte das Konzert ab. Große Enttäuschung, aber auch Verständnis meinerseits, ist der Altmeister der Filmmusik doch immerhin Mitte 80 – und im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen noch am Leben. Und wie!

Nun, es gibt Alternativen. Morricone kann man immernoch hören und sehen, live, in Farbe in den großen Veranstaltungshallen zwischen Zürich und Hamburg. Bei mir wurde es schließlich die O2-World-Arena in Berlin.

Für knapp 90 Euro gab es dort Morricone live, in Farbe und in ganz klein. Damit entsprach das Konzert meinen Erwartungen. Die Arena ist groß, zu groß für ein klassisches Konzert. Der Klang ist schlecht, zu schlecht für ein klassisches Konzert – vor allem weil die Riesenhalle für die Beschallung von 10.000 Zuschauern auf eine gigantische Lautsprecherbatterie angewiesen ist. Um das Echo von der Rückwand zu übertönen, werden diese auch noch richtig aufgedreht. Meine Mittelklasse-Stereoanlage klingt sauberer.

Sicher, die Stadthalle in Wien hätte eine bessere Akustik gehabt. Aber der Fairness halber: Morricone ist kein Mann fürs Kammerkonzert. Er ist ein Künstler für die Massen. Seine Filmmusik hat in den 60ern, zur Hochzeit des Western-Films, die Popkultur geprägt, und er prägt sie immer noch. Vom House-Fan bis zum Metaller, Morricone kennt jeder. Selbst wer die Filme nicht kennt, schätzt Morricones Melodien, sie werden gepfiffen, geremixt und gecovert. Insofern ist es nicht verwunderlich und erst recht nicht verwerflich, dass Morricone auch im hohen Alter die Massen bespielen will und nicht das exklusive Konzerthaus mit Sekt und Teppich im Foyer. Popkultur in der Musik ist mehr als der (im wahrsten Sinne des Wortes) reine Klang, es sind Event, Inszenierung, Reproduktion und Anti-Exklusivität, die den Unterschied zur klassischen Hochkultur ausmachen.

Musikalisch hatte mich Morricone spätestens nach den ersten paar Stücken mit Once Upon a Time in America. Die ausgewählten Musikstücke zeigten Morricones beeindruckende stilistische Vielfalt. Was Mitte des vergangenen Jahrhunderts Avantgarde in der Filmmusik war, ist es noch heute. Morricone vermischt, was andere wie Riz Ortolani oder Ludovico Einaudi entmischen. Gegen alle Konventionen verwebt er Rhythmen und Klänge, spielt mit elektronischen Instrumenten im klassischen Orchester, durchbricht Takt und Metrik und erzeugt einen Klangteppich, der sich progressiv vor dem Hörer ausbreitet. Die Elemente sind wiedererkennbar und doch jedes Mal anders, am Anfang wie am Ende eines Stücks. Selbst zwischen den Musikstücken sind solche Parallelen erkennbar, obwohl jedes so unterschiedlich, so abgefahren anders ist als das Stück davor. Morricones Handschrift ist nicht der konkrete Sound, sondern einzelne (Dis-)Harmonien und das Spiel mit Percussion und Klangflächen. So erzeugen die aggressiven Drums und Bläser einmal die Stimmung in den umkämpften Straßen von Algiers (ram tatatam tatatam tatatam pah pah pah. Blöblö blö blöööö), während sie an anderer Stelle die absurde Seite italienischer Staatskorruption zeigen (bing bada bing bada klopf klopf trööt – boing!).

Was fehlte, war nicht das, was ein Zuschauer auf der Hinterbank lautstark forderte („You shall play the song we all came to hear!“, vermutlich das Stück mit der Mundharmonika). Es waren Morricones unbekannte, weil nicht für Filme komponierte Stücke. Gerne hätte ich den zivilen Morricone erlebt, der nicht für Regisseure und Bilder, sondern für sich oder das Publikum komponiert hat. Die Zwänge des Kommerz verhinderten dies.

Schwer zu sagen, ob Morricone damit glücklich ist. Eine leicht übersehbare Geste deutete darauf hin, dass ihm die Schere zwischen Popularität und Kunst im eigenen Schaffen durchaus bewusst ist. Am Ende des Konzertes sagte der Maestro ans Publikum gerichtet: „Ich habe ja auch andere Sachen komponiert, nicht nur für Filme.“ Ein kleiner Wink, der als schallende Ohrfeige an die Banausen in der Arena verhallte.

Anreise, 90 Euro, Klang, Musikauswahl, würde ich mir das wieder antun? Vermutlich nein. Aber zu sehen, wie der alte Mann mit seltsamer Musik Zehntausende bewegt, war es wert. Einmal.

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