Seht her, seht her. Österreicher können Film auch abseits von starken Dokus (Darwins Alptraum), großer Kunst (Hundstage) und schwarzen Komödien (Komm, süßer Tod). Ich seh Ich seh heißt der neue Film von Veronika Franz und Severin Fiala. Es ist ihr erster großer Spielfilm, den die beiden gemeinsam realisiert haben.

Der Film handelt von zwei Jungen, die mit ihrer Mutter in einem Haus am Waldrand leben. Nach einer kosmetischen Operation kommt die Mutter zurück zu den Kindern, ihr Kopf einbandagiert, dahinter ein Geheimnis. Für die Kinder und die Zuschauer beginnt das Grauen. Wer oder was verbirgt sich hinter dem Verband?

Ich seh Ich seh spielt mit den Urängsten der Menschen: Verlust von Liebe, von Identität, von Geborgenheit, und das in grausam-geheimnisvollen Bildern. Das hat Kritiker und Publikum überzeugt – so sehr, dass ein Zuschauer in Thessaloniki offenbar ob der Grauslichkeit des Themas ohnmächtig zusammengebrochen ist und sich dann geärgert hat, dass er das Ende des Films verpasst hat.

Im Interview sprechen Veronika Franz und Severin Fiala über die Probleme des österreichischen Films, warum sie den Begriff Arthaus-Horror nicht besonders mögen, und darüber, welche Spuren der große Michael Glawogger in ihrem Film und ihren Herzen hinterlassen hat.

Euer Film spielt schon im Trailer mit Bildern aus zeitgemäßem Horror und Kritikerkommentaren, die in Richtung Arthaus gehen. Seid ihr mit diesem Label glücklich?

Veronika: Wenn ich mir eine Schublade aussuchen würde, dann wäre es die des Psychoterrorkammerspiels. Es gab schon beim Drehbuch warnende Stimmen, dass wir zwischen den Stühlen von Horror und Arthaus sitzen würden. Das kann stimmen, aber so denken wir Film nicht. Wir lieben Horrorfilme in allen seinen Ausformungen, also ganz wurscht ob völligen Trash oder die sogenannten hochwertigen Horrorfilme bis hin zum Slasher. Aber wir mögen auch Kunstfilme, wenn sie etwas zu erzählen haben. Was bei unserem Film zu diesem Arthaus-Begriff führt, ist die Art von Realismus, in dem die Geschichte wurzelt. Es ist kein Horrorfilm, in dem Hände und Füße abgehackt werden oder völlig unrealistische Dinge stattfinden.

Severin: Es ist der Film, den wir gerne sehen würden. Welches Label da ein Dritter aufdrückt, können wir nicht beeinflussen. Wir hoffen, dass der Film etwas über für uns relevante gesellschaftspolitische oder existentielle Themen erzählt. Wenn das Arthaus ist, dann wollen wir das auch haben. Und wir hoffen, dass er spannend ist wie ein Horrorfilm.

 

Ihr habt euch intensiv Gedanken über den Hintergrund der Geschichte gemacht. Wie lief die Recherche über das Thema Familie und Identität ab?

Severin: Mit dem Thema Identität, was einen selbst ausmacht und wie man von anderen wahrgenommen wird, wird man im täglichen Leben konfrontiert und das dieses Thema beschäftigt uns beide sehr. Das löst in jedem Fragen aus, die wir mit einer fiktiven Geschichte beantworten. Dafür muss man nicht viel recherchieren. Wir haben andere Dinge recherchiert, über das Thema Zwillinge, wir haben mit einer Psychiaterin Dinge abgeklärt, die aber nicht das eigentliche Thema des Films betreffen. Da überprüft man, ob das, was man erzählt, wirklich möglich oder völlig unrealistisch ist.

 

Neben den Schauspielern fällt die kühle, sehr charakteristische Optik des Films sofort auf. Ganz besonders das Haus, in dem der Film spielt. Welche Rolle spielt dieses Haus?

Veronika: Wir wollten, dass das Haus auch ein Hauptdarsteller ist. Es spiegelt wie jede Wohnung die Menschen, die darin leben. In diesem Fall haben wir nach einem sehr nüchternen, stylish eingerichteten Haus gesucht, das von Natur umgeben ist. Die Bilder, die im Haus hängen, spiegeln die Hauptfigur. Es gibt überhaupt viele Dinge in dem Film, die etwas spiegeln. Das Haus muss für die Figur der Mutter stimmig sein, während den Kindern eher die Natur vor der Tür entspricht, in der sie herumtollen.

 

Der Film hat eine komplexe Geschichte mit viel Hintergrund. Das Drehbuch dazu habt ihr gemeinsam geschrieben. Wie seid ihr vorgegangen?

Severin: Ich glaube, man würde normalerweise aufgeben, wenn man sich diese riesige Flut an Dingen überlegt, die mit so einem Film auf einen zukommen. Insofern muss man halbwegs im Moment leben und sich von einem Schritt zum nächsten vorarbeiten, damit man nicht die gesamte Flut an Arbeit im Kopf behält.

 

Hilft euch dabei die Arbeit zu zweit?

Severin: Es hilft, zu zweit zu sein, weil man die Zweifel ausschalten kann. Das beschleunigt den Entscheidungsprozess. Aber das geht nur, wenn man dem anderen sehr vertraut und wenn der andere nicht aus Eitelkeit, sondern auch für den Film arbeitet.

 

Wie sieht so ein Tag des gemeinsamen Drehbuchschreibens ganz konkret aus, teilt ihr eure Aufgaben auf?

Veronika: Nein, gar nicht. Das Drehbuch gehen wir gemeinsam durch, wie wir auch gemeinsam Regie führen. Wir sitzen einander einfach am Tisch gegenüber und spinnen Ideen. Wenn der Severin eine meiner Ideen blöd findet, kommt sie nicht ins Drehbuch. Wenn er sie gut findet, dann schreiben wir sie mal hin; und dann kann es sein, dass wir sie am nächsten Tag wieder killen. Insofern sind wir einander auch die ersten Kritiker, der erste Filter. Da wir so ein großes Vertrauen zueinander haben, funktioniert das auch.

Severin: Das lebt schon davon, dass wir ziemlich ähnliche Vorstellungen haben, wie der Film werden soll. Wir hätten beim Drehen gar nicht die Zeit, alles auszudiskutieren, wenn wir völlig unterschiedlich denken würden.

 

Von der visuellen Umsetzung über die Art des Schauspiels bis zu den begeisterten Kritikern kommt euer Film an internationale Produktionen heran. Seht ihr ihn in einer Reihe mit anderen Filmen wie den meiner Meinung nach überschätzten Das finstere Tal, die versuchen, das internationale Publikum stärker anzusprechen?

Severin: Wir sagen nicht, wir machen einen Film von internationalem Format. Das finstere Tal ist eh sympathisch, aber das Problem ist vielleicht, dass der Film zu sehr nach einer internationalen Größe schielt. Da ist ein gewisser Hollywood-Pomp in den Bildern, im Ton und in der Musik, ohne, dass es die Geschichte rechtfertigt. Ich finde den Film trotzdem gut: Er ist mehr als das, was oft aus Hollywood kommt.

 

Würdet ihr dem österreichischen Film also keine größere internationale Bühne wünschen?

Veronika: Das siehst du glaube ich falsch. Der österreichische Film hat eine internationale Bühne, die der deutsche Film nicht hat. Der Haneke hat den Oscar und die Goldene Palme bekommen, der Ulrich hat in Venedig die Löwen gewonnen. Ich wüsste niemanden, der das in Deutschland erreicht hat. Beim deutschen Film ist mehr Geld vorhanden und es wird mehr produziert, trotzdem ist der österreichische Film viel erfolgreicher. Das liegt daran, dass wir eine einzigartige Förderlandschaft haben, die Filmemacher ohne große Restriktionen fördert. Ein Haneke oder ein Seidel konnten in den letzten 20 Jahren Filme machen, die kommerziell kein Erfolg waren. Hier geht es darum, dass man einen Film macht, der in einer kulturellen Landschaft bestehen kann.

Severin: Gerade weil der österreichische Film international auf Festivals aus künstlerischer Sicht sehr erfolgreich ist, gibt es Leute, die versuchen, diesen Erfolg zu kalkulieren und dann ähnliche Filme machen, weil die gut angekommen sind.

 

Wäre das etwas, was du populären Filmen – als Beispiel noch einmal Das finstere Tal oder dem Austro-Horror In 3 Tagen bist du tot – vorwirfst?

Severin: Nein. Das sind Publikumsfilme. Ich mag die alle. Die haben andere Schwächen, aber diesen Filmen gilt meine Sympathie. Aber wenn man in künstlerischen Dingen so tut, als wäre man ein Kunstfilm, dann wird es schwierig. Dann filmt man so einen Kunst-Mainstream. Da würde ich mir wünschen, dass viel mehr Leute die Filme machen, die sie selber sehen wollen und nicht nur einen kalkulierten, erfolgsversprechenden Kunstfilm.

 

Ulrich Seidel hat euren Film produziert, aber auch ein anderer großer österreichischer Regisseur hat Einfluss auf Ich seh Ich seh genommen: der viel zu früh gestorbene Michael Glawogger. Welche Spuren hat er hinterlassen?

Veronika: Ich kenne Michael Glawogger schon lange über den Ulrich Seidel. Wir haben ihm unseren Dokumentarfilm Kern, den wir zuvor gemacht haben, gezeigt. Bei dem war er ein großartiger Zuschauer, eigentlich einer der besten…

Severin: Ein Testzuschauer, der den Rohschnitt gesehen hat.

Veronika: Er hat genau erkannt, worin die Stärke liegt und was wir machen müssen, um den Film noch weiter zu stärken. Wir haben ihm dann auch das Drehbuch zu Ich seh Ich seh gegeben. Er sagte, wir hätten brav gearbeitet, und er hat nur eine Kleinigkeit kritisiert. Bevor er dann auf seine große Reise gegangen ist, daran muss ich immer wieder denken, da hat er gesagt: Das ist der einzige österreichische Film, der ihn interessiert und den er sehen wird, wenn er heuer herauskommt. Hat er nicht mehr.


Veronika Franz und Severin Fiala haben gemeinsam bereits den Dokumentarfilm Kern (2012) über den gleichnamigen Regisseur gemacht. Außerdem einen Film darüber, wie sie sich in einem Keller heillos betrinken. Letzterer lief weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ihr nächstes Werk wird, so glauben die beiden, wegen des schwierigen Themas weniger Aufmerksamkeit bekommen: Es geht um suizidale Frauen im 18. Jahrhundert, die, anstelle sich selbst umzubringen, ihre Neugeborenen töten. Ja, das gab’s wirklich: diesmal ein Thema mit Tiefenrecherche.

Flattr this!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Website