Die Geschichte von Clouds of Sils Maria zu erzählen wäre ein unnötiger und unwürdiger Anfang für eine Filmkritik. Sicher, man sollte erwähnen, dass es um die Geschichte einer alternden Filmschauspielerin Maria (Juliette Binoche) geht, die in einem Remake ihres Jugenderfolgs auftreten soll. Man sollte auch erwähnen, dass diese Schauspielerin die rührige Assistentin Valentine hat (Kristen Stewart), die ihr in beruflichen Angelegenheiten zur Seite steht und sie auf Schritt und Tritt begleitet. Man sollte auch erwähnen, dass die beiden seit Jahren ein schwer durchschaubares Verhältnis begleitet, das offenbar über die professionelle Zusammenarbeit hinausgeht.

Man sollte aber auch erwähnen, dass das alles, diese Story, völlig wurscht ist, will man den Film beschreiben oder verstehen. Um das Verhältnis von Valentine und Maria spinnt Regisseur Olivier Assayas eine Geschichte, die in ihrer Doppeldeutigkeit und Vielschichtigkeit nicht übertroffen werden kann. Der Film, in dem Maria mitspielen soll, die Landschaft, in der sich das ungleiche Duo aufhält, die weiteren Charaktere, all das spannt weitere Ebenen auf, die einander referenzieren. Mancher Handlungsstrang lässt die Zukunft eines anderen Handlungsstrangs erahnen, manche Handlung erläutert auf abstrakter Ebene das, was der Zuschauer gerade konkret im Film beobachten kann: die Entwicklung der Figuren und ihr spannungsgeladenes Verhältnis zueinander. Unterhaltungen finden in Metaphern statt: Die Figuren reden nicht über ihre eigenen Emotionen, sie reden über Drehbücher, die Vergangenheit und Wetterphänomene, die in Wirklichkeit ihre eigene Geschichte repräsentieren.

Keine Angst vor dem Film! Man kann sich auf jede dieser Ebenen einlassen, man muss es aber nicht. Der Film erlaubt jedem, selber zu entscheiden, was man sehen und verstehen will. Wer in das Gewirr der Referenzen und Andeutungen eintauchen will, wird seine Freude haben. Wer sich anders entscheidet, wird sich nicht langweilen. Dafür sind der Möglichkeiten zu viele. Trotzdem bleibt die zugrundeliegende Story so deutlich, dass es dem Zuschauer erspart bleibt, völlig in philosophische Dimensionen eines Kubrick und ein Goddardsches Deutungschaos abzurutschen. Die Geschichte bleibt ein allgegenwärtiger Anker: phantasievoll, manchmal absurd, aber immer da als Leuchtturm im Chaos der Gedanken.

Großartig ist die Schauspielkunst aller Darsteller, vor allem aber überrascht Kristen Stewart. Sie spielt die Valentine so souverän und natürlich, so unabgehoben und dennoch selbstbewusst. Ein Hauch der jungen Winona Ryder, aber unaufgeregter, subtiler – Twilight des Geistes, perfekt verkörpert. Der Zuschauer erahnt die Entwicklung der Figur, ihre Gedanken und Zweifel oft nur durch Blicke, eine beiläufige Bewegung oder den Klang ihrer Stimme. Es wäre interessant, zu welchem Teil das Assayas’ Einfluss als Regisseur zu verdanken ist. Die stärkste Szene des Films gehört ebenfalls Stewart. Die junge Frau leiht sich das Auto für eine Spritztour zu einem Freund. Während der Fahrt durch die Schweizer Alpen kommt sie ins Grübeln, dieses Grübeln am Rande des Erwachsenwerdens, in dem man sich selbst infrage stellt – und doch am Ende nur Verwirrung und Verzweiflung bleibt. Großes Mitfühlkino für Menschen, die diese Emotionswirren kennen, und eine späte Ehre für Primal Screams Musikstück Kowalski, das hier in einer psychedelischen Nebenrolle untergerührt wurde. Der Kamera gelingt es, die subtile Spannung zwischen den Figuren, ihre feinen Regungen und Emotionen einzufangen – ein Kunststück, denn Assayas vermeidet es, sich für eine klare Hauptfigur zu entscheiden.

Einzig der Ausflug ins Science-Fiction-Genre wirkt unfreiwillig komisch: Maria und Valentine schauen sich einen (natürlich mit Mehrdeutigkeiten gespickten) Film im Kino an, der wie eine zeitgemäße Comic-Verfilmung wirken soll, aber zu einer Parodie auf B-Movies aus dem DVD-Premieren-Regal gerät: unglaubwürdig und hingeschludert, daran rettet auch Nora von Waldstätten in ihrer Nebenrolle nichts.

Assayas schafft einen intelligenten Film für jedermann, und das ist eine Kunst. Es ist nicht die Art von intelligenten Filmen, die nur auf Filmfestivals brillieren, und dennoch ist Sils Maria fern davon, ein gewöhnlicher Publikumsfilm zu sein.

Dramaturgie: +
Sex: +
Bilder: o
Story: +
Musik: o
Schauspiel: +
Durchblick: o

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