Der amerikanische Traum ist spätestens seit der Wirtschaftskrise Makulatur. Verfall war zwar immer schon ein Teil nordamerikanischer Kultur, die das Marode zwar nicht schätzt, die ihm aber aufgrund der Größe und Unkontrollierbarkeit von Stadt, Landschaft und Gesellschaft nicht entkommen kann.

Das Marode war seit der Erfindung des Technicolor auch poetischer Teil von Filmen. Im Western waren die Städte Un-Orte, Ansammlungen des Provisorischen und Vergänglichen, geprägt durch menschliche Wanderung und die Einflüsse einer unbarmherzigen Natur.

In jüngster Zeit ist es also die Wirtschaftskrise, die das marode Amerika wieder auferstehen lässt. Wie in Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive ist es Michigan, das Regienovize Ryan Gosling für Lost River auserwählt hat. Nur siedelt er seine Geschichte nicht in der Metropole der Abwanderung Detroit an, sondern im fiktiven Ort Lost River, einem der sympathischen (weil älteren und abgelebteren) Orte im Nirgendwo der amerikanischen Zwischenstädte.

In diesem Ort lebt Bones (Iain De Caestecker) mit seiner Lebensgefährtin Billy (Christina Hendricks) und dem kleinen Sohn in einem heruntergewohnten Haus. Der Kredit ist nicht abbezahlt, die Wirtschaftskrise hat auch Billy und Bully getroffen, die sich gerade so über Wasser halten. Bully vertickt Altmetall, das er in abrissreifen Immobilien stiehlt, und Billy biedert sich beim neuen Manager der örtlichen Bank (Ben Mendelsohn) an. Warum sie in dem Haus bleiben wolle, fragt dieser, hier, in dem Ort, wo eh alles den Bach hinuntergeht, wo es keine Arbeit, keine Hoffnung und keine Zukunft gibt, und wo die Häuser derer, die es sich nicht mehr leisten können und derer, die den Mut zur Zukunft haben und weggegangen sind, der gnadenlosen, anonymen Dekonstruktion der Bauindustrie zum Opfer fallen.

So begibt es sich, dass Billy eine Arbeit in einem abgefahrenen Underground-Club annimmt, in dem sich die Menschen, gebeutelt von der Krise, mit makaberem Sadismusvarieté bei Laune halten. Und Bully entdeckt in einem See das Geheimnis des Ortes, der ein Konstrukt einer technokratischen Moderne ist, die den Menschen heute buchstäblich über den Köpfen zusammenbricht.

Ja, man kann Gosling Parallelen zu David Lynch unterstellen, wie das einige Kritiker (im Guten wie im Schlechten) auch tun. Aber das greift zu kurz und zu weit. Zu weit, weil die phantasievolle und verquere Handlung dennoch eine Geradlinigkeit hat, die der klassischen Tragödie folgt. Eine Geschichte, mit der sich Lynch so nicht zufrieden geben würde. Zu kurz greift es, weil Gosling von eben diesem Zwang zur Metaebene, zu mehrfach verwobenen Handlungssträngen und zur Unverständlichkeit emanzipiert hat. Das hat etwas Erfreuliches, es macht den Film anschaubar. Wer Meta haben will, bekommt es trotzdem in kleinen Dosen, wenn zum Beispiel der Bösling des Films Bully (Matt Smith) der Nachbarin von Bones (Saoirse Ronan) sagt, dass er aus den Augenwinkeln ihre Ratte gesehen hat und damit nicht nur auf ihr geliebtes Haustier anspielt. Oder wenn die Dinosaurier aus einem Vergnügungspark als Symbol für das verzweifelt Vergangene herhalten.

Ein wahrer Hauch von Lynch entsteht aber durch die faszinierenden Bilder, die Benoît Debie geschaffen hat. Es sind Gemälde, farbenfroh, phantastisch, die der maroden Welt eine grandiose Ästhetik verleihen, ohne dabei ins Leblose zu verfallen. Dazu tragen auch die drückenden Klangflächen von Johnny Jewel bei, die irgendwo zwischen James Ferraro und John Carpenter angesiedelt sind.

Auch untypisch für einen Film in der Tradition von Lynch: Am Ende werden die Charaktere von ihren Dämonen befreit. Ein bisschen gilt das auch für den Zuschauer. In Detroit werden die Dämonen dagegen noch eine Weile spuken. Was von der maroden Stadt noch übrig ist, wird demnächst von King Kong zerstört werden.

Dramaturgie: +
Sex: +
Bilder: +
Story: o
Musik: +
Schauspiel: +
Durchblick: +

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