Filme aus Mittelfranken, das bekanntlich kein Teil Bayerns ist, machen neugierig. Der Frankentatort lehrte das vom Aussterben bedrohte Individuum des intellektuellen Franken ein seltsames Schamgefühl für die Region und ihre Schauspieler. Doch aus der Provinz, die sich gerne als Metropolregion geriert, erwachsen gelegentlich auch Dinge, die man nicht erwartet hätte. Der junge Nürnberger Filmemacher Rüdiger Görlitz hat jetzt wieder die Region bemüht und zwischen Ober- und Mittelfranken sein phantasievolles Langfilmdebüt realisiert.

Der Film handelt von Louisa (Jennifer Sabel): introvertiert, graue Maus, Büroangestellte. Ihr Job und ihre Kollegen quälen sie, Ablenkung findet die junge Frau nur in Büchern. Als ihr zufällig ein Buch über luzide Träume in die Hände fällt, ändert sich ihr Leben: In diesen Träumen kann Louisa alles kontrollieren (ja, das gibt es wirklich). Sie erschafft sich eine Phantasiewelt, in der sie aufblüht, sie fasst neuen Mut, auch im realen Leben. Doch die heile Parallelwelt wird schon bald zur Gefahr für Louisas Leben in der Realität.

Wenn es ein Hobbyregisseur ins Kino schafft, dann muss er entweder besonders gut sein, oder besonders hartnäckig. Rüdiger Görlitz ist beides. Über Jahre schleppte er zusammen mit Co-Regisseurin und Kamerafrau Sanne Kurz (die an der Münchner HFF ausgebildet wurde) das Projekt neben seinem Studium und seiner Arbeit als Psychologe mit, warb Filmprofis an, die ehrenamtlich an dem nur 35.000 Euro teuren Film mitarbeiteten.

Die Idee zum Film kam Görlitz durch eine Arbeit, die er als Psychologiestudent zu verrichten hatte. Entsprechend exakt sind ausnahmsweise die wissenschaftlichen Details der Klarträumerei umgesetzt (das Filmteam machte während der Dreharbeiten auch eigene Erfahrungen mit dem Thema), wenn auch die Inhalte der Klartraumszenen eher der Drehbuchschreiber-Zunft zuzuschreiben sind.

Nach etwa einem halben Jahrzehnt präsentiert das Team nun stolz (nicht ganz zu Unrecht) das Ergebnis. Dieses besticht vor allem durch die phantasievollen Bilder. Die Kamera erkundet minutiös die liebevoll gestaltete, bunte Phantasiewelt in Louisas Kopf. Manchmal wirkt das alles ein bisschen zu perfekt: Das Dinner im romantischen Jahrhundertwende-Salon mit Trauben, Orangen und Wein, oder Louisas heile Welt, einer Countryhouse-Idylle mit Wiese, Kühen und knisterndem Kamin, die einem Landlust-Heft entsprungen sein könnte. Und auch manche Nebenrolle wie Louisas aggressiver Chef bleibt zu eindimensional und berechenbar.

Stark ist der Film vor allem dann, wenn die Filmemacher ihre simplen, aber phantastischen Ideen ungezügelt und mit erstaunlicher technischer Präzision umsetzen. Wenn ein Auto wie selbstverständlich und unkommentiert durch eine Landschaft aus Messern, Gabeln und Löffeln fährt, wenn Louisa in ihrem Bett auf einem romantischen See schwimmt, wenn riesige Quietscheentchen aus dem Nichts erscheinen, dann ist Louisas Lebensfreude ansteckend und „Nicht weit von mir“ bekommt einen Hauch vom großen phantastischen Autorenkino eines Tim Burton oder Jean-Pierre Jeunet.

Görlitz und Kurz vermeiden den Fehler, den Film Werk als Heimatfilm zu inszenieren. Fränkisch ist hier kaum etwas, außer die Drehorte und die rot-weißen Busse des örtlichen Nahverkehrsunternehmens. Dennoch: Filme aus Franken machen neugierig. Und so darf es einen nicht überraschen, wenn im Kinositz hinter einem jemand erfreut gluckst, weil er die Bushaltestelle wiedererkennt, an der Louisa gerade ausgestiegen ist.

Dramaturgie: o
Sex: o
Bilder: +
Story: o
Musik: +
Schauspiel: o
Durchblick: +

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