Düstere Gesellschaftsvisionen haben in der Science Fiction derzeit erfreulicherweise wieder Konjunktur. Die Welle, die Gattaca 1997 anstieß, führen neuere und neueste Filme von Minority Report über In Time und Elysium bis Divergent mehr oder weniger gut fort: eine Welt, in der mächtige Kräfte wirken und ein System besteht, in dem individuelle Freiheit nichts wert ist. Film als minimalfuturistischer Spiegel gesellschaftlicher Wirklichkeit.

Das Genre ist aber nicht neu (auch nicht, wenn man 1997 noch als “neu” ansetzen würde). Die Dystopien der Vergangenheit können sich dabei mit Ausnahme des grandiosen Metropolis weniger auf eine stromlinienförmige visuelle Umsetzung verlassen, die so manche Geschichte über ihre Ungänzen und schlechten schauspielerischen Leistungen hinwegrettet (bei Divergent half nicht einmal mehr das).

Nein, bei diesen alten Produktionen zählt die Geschichte. In Soylent Green ist das die Geschichte von Detective Thorn (Charlton Heston), der den Mord an einem Aufsichtsratsmitglied des Lebensmittelherstellers Soylent aufklären soll. Lebensmittel, das wird schnell klar, spielen eine wichtige Rolle in diesem Film und in der Welt, die er erschafft. Soylent, offenbar der einzige verbleibende Lebensmittelkonzern in einer zugrundegerichteten Welt, wirbt ständig und überall für seine Produkte: zähe, matschige Riegel, die abgesehen vom Nährwert sonst nicht viel Freude bieten. Bald findet der Detective erste Anzeichen für einen politisch motivierten Mord. Thorns Ermittlungen führen ihn aus der freudlosen, hyperregulierten Welt zu den Grundpfeilern des gesellschaftlichen Systems, die so unfassbar und grauenvoll sind, dass sie, wenn sie publik würden, eine Revolution auslösen würden.

Spannende Geschichte. Schöne Settings: die schnörkellose Wohnung des Mordopfers, die das klassische retromoderne Bild der Nachkriegs-Science-Fiction widerspiegelt. Thorns Bude, die in ihrem siffig-sympathischen Chaos einem Ort der inneren Emigration darstellt, einen letzten Zufluchtsort vor dieser Welt vor der Haustüre, die an sich selbst erstickt. Und draußen die Demonstranten, die mit Schaufelbaggern und Müllwägen eingesammelt und abtransportiert werden – ganz großartig!

Aber der Film funktioniert einfach nicht, nichtmal mit dem Retro-Bonus, den man Filmen dieser Zeit fairerweise wegen ihrer manchmal naiven und heute brav wirkenden Inszenierung zusprechen muss. Zu plump sind die Erkenntnisse und Wendungen, die nicht auf Eigenleistung der Charaktere beruhen, sondern einfach als Zufälle oder gegebene Ereignisse in die Geschichte integriert werden. Der Priester, die Erkenntnis mit dem ozeanographischen Buch, das ist alles als unausgesprochene, subtile Hinweise inszeniert, wirkt aber dennoch unglaublich plump. Ein paar intelligente Aha-Momente, integriert in eine subtile Spannungskurve, hätten hier Wunder gewirkt.

Und dann ist da noch Charlton Hestons unterirdische schauspielerische Leistung. Der korrupte Polizist, der gelegentlich aus den Kühlschränken reicher Mordopfer eines der letzten Stücke Fleisch und einen teuren Wein stiehlt, der nach außen den Coolen gibt, der in seinem weißbärtigen Ermittler-Partner (Edward G. Robinson, der zwei Wochen nach den Dreharbeiten verstarb) eine Art Vaterfigur sieht, und der am Ende mit schmerzverzerrtem Gesicht die ganze grausame Wahrheit herausplärrt – der Charakter funktioniert einfach nicht. Heston wirkt hölzern, übertrieben, nicht subtil, nicht grau, nichtmal schwarzweiß, trampelt er durch den Film wie ein Betrunkener, der am falschen Ort ist und den Weg nach Hause sucht.

Das Ergebnis ist ein langweiliger, plumper Film, der einem immer wieder in seinen hellen Momenten zeigt, wie er hätte sein können. Zumindest Heston ist mit dieser Kritik vielleicht ein bisschen Unrecht getan. Es mag an der Synchronisation liegen, dass seine Schauspielkunst nicht zur Geltung kommt. Vielleicht lohnt es sich hier, den Film noch einmal im Original anzuschauen, wenn man es wirklich wagen will. Vielleicht ist dieser aber auch einer der wenigen Filme, bei denen wir uns auf eine Neuverfilmung freuen können. Im Gegensatz zu einem Remake gibt es Gerüchte über eine Fortsetzung seit einem halben Jahrzehnt. Immerhin kommt demnächst 1984 in neu, die Chancen für Retrodystopien stehen also nicht schlecht.

Dramaturgie: -
Sex: o
Bilder: +
Story: +
Musik: ?
Schauspiel: -
Durchblick: o

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